Über die Einzelinitiative Zürcher kann jetzt doch abgestimmt werden

Entgegen dem Willen des (vorherigen) Erlenbacher Gemeinderats werden die Erlenbacher Stimmberechtigten doch über die Einzelinitiative von Hansueli Zürcher gegen die Überbauung auf dem SBB-Bahnhofareal abstimmen können. Das bedeutet allerdings nicht, dass der umstrittene Klotz damit bereits vom Tisch wäre.

Von Christian Rentsch

Vorbemerkung: Aufgrund einer Fehlinformation hiess es in einer ersten Version dieses Beitrags, die Einzelinitiative Zürcher komme bereits an der kommenden Gemeindeversammlung vom 28. November zur Abstimmung. Diese Information ist falsch. Über die Initiative muss, so das Verwaltungsgericht, lediglich innerhalb  der gesetzlichen Frist von sechs Monaten  abgestimmt werden. Wir entschuldigen uns für diese Fehlinformation und danken Christiane Brasseur für die schnelle Benachrichtigung. Christian Rentsch

Zur Rekapitulation: Die SBB beabsichtigen auf dem derzeitigen P+R-Parkplatz und dem derzeitigen Bahnhofgelände einen  5stöckigen, fast 90 Meter langen Wohn-Riegel aufzustellen. Schon an der ersten Präsentation des Projekts im Mai vorigen Jahres zeigte sich, dass die Erlenbacher Bevölkerung von dem geplanten Ungetüm eher wenig begeistert war. In der Folge reichten der ehemalige Dorfarzt Hansueli Zürcher und über 100 Mitunterzeichnerinnen und -unterzeichner eine Einzelinitiative ein: Künftig sollen im Bereich der SBB-Überbauung nur noch vier statt wie bisher 5 Vollgeschosse und eine maximale Gebäudelänge von 50 Meter erlaubt sein.

An der allerletzten Sitzung seiner Amtszeit beschloss der (frühere) Gemeinderat aus unerfindlichen Gründen, die Einzelinitiative Zürcher noch schnell für ungültig zu erklären. Eine Beschränkung auf 4 Geschosse, so der Gemeinderat, benachteilige die SBB gegenüber den umliegenden Grundeigentümern und verstosse gegen die Rechtssicherheit, gegen die sogenannte «Planbeständigkeit»: Ein Bauherr müsse, so die Argumentation, damit rechnen können, dass die Spielregeln nicht während Spiels geändert werden.

Das Zürcher Verwaltungsgericht erklärt die Initiative Zürcher für gültig

Gegen die Ungültigerklärung der Initiative erhob die Erlenbacher Architektin Christiane Brasseur Rekurs beim Bezirksrat Meilen. Dieser folgte allerdings den Argumenten des Erlenbacher Gemeinderats und wies den Rekurs Mitte August ab, worauf Christiane Brasseur den Entscheid ans Zürcher Verwaltungsgericht weiterzog.

Dieses hat jetzt den Entscheid des Gemeinderates und des Bezirksrates aufgehoben und die Einzelinitiative Zürcher für gültig erklärt. Damit muss die Initiative innerhalb von sechs Monaten zur Abstimmung gelangen. Es sei denn, der neue Gemeinderat entscheidet sich, den Entscheid des Verwaltungsgerichts an das Bundesgericht weiterzuziehen.

Neben viel Juristenfutter und formalen Erwägungen findet man im 12seitigen Entscheid des Verwaltungsgericht auch einige inhaltliche Argumente. Tatsächlich, so das Verwaltungsgericht, können sich die Verhältnisse im Verlauf der Zeit so verändern, dass die Überprüfung und Anpassung eines Gestaltungsplans durchaus sinnvoll und vertretbar sein könne. In der Regel gelte zwar für Bauzonen ein Planungshorizont von 15 Jahren; bei relativ kleinen Zonen und mehr oder weniger beschränkten Änderungen sei die Überarbeitung eines Nutzungsplans aber bereits nach neun bis zehn Jahren nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Selbstverständlich ist dieser Entscheid ein Schritt vorwärts gegen die zunehmende Verschandelung des Erlenbacher Dorfzentrums. Aber: Selbst wenn die  Stimmberechtigten der Initiative Zürcher zustimmen, was zu erwarten ist – auch im neuen Gemeinderat dürfte die Initiative kaum mehr auf Ablehnung stossen -, selbst dann ist die SBB-Überbauung noch lange nicht vom Tisch. Und erst recht ist eine allfälligen Zustimmung zur Initiative keine Antwort auf die viel weiterreichende, aber ebenso dringliche Frage, wie es denn im übrigen Erlenbacher Dorfzentrum mit dem Bauen weitergehen soll.

Da ist zuerst einmal eine kleine, aber folgenreiche  juristische Spitzfindigkeit. Da die Initiative Zürcher nach der Vorstellung des Verwaltungsgerichts kein «ausgearbeiteter Entwurf» ist, sondern bloss eine «allgemeine Anregung», hat der Gemeinderat, so er das will, immer noch einen gewissen «Gestaltungsspielraum», obwohl die Forderung der Initiative sehr klar formuliert ist. Gemäss dieser Auslegung würde das in der Praxis bedeuten, dass vorerst nicht über eine Teil-Änderung des Gestaltungsplans, sondern über die Forderung nach einer Teil-Änderung abgestimmt wird. Diese müsste dann vom Gemeinderat konkret erst ausgearbeitet werden und käme damit später noch einmal zur Abstimmung.

Die Einzelinitiative von Christiane Brasseur

Weit entscheidender ist allerdings etwas anderes: Die Einzelinitiative Zürcher bezieht sich ausschliesslich auf das relativ kleine Terrain rund um den SBB-Bahnhof. Aus diesem Grund reicht Christiane Brasseur Anfang September eine weitere Einzelinitiative ein, die den gesamten Gestaltungplan «Bahnhofstrasse» in Frage stellt. Dieser umfasst nicht bloss das Gebiet  unmittelbar um den SBB-Bahnhof, sondern ein viel grösseres Gebiet beidseits der Bahnhofstrasse, von der Lichtsignalanlage beim Migros-Parkplatz bis fast zur Dorfstrasse und von der Seestrasse bis zur Bahnlinie.

Und: Bei der Initiative Brasseur geht es auch nicht bloss um die Anzahl der Geschosse und die Länge der Gebäude, sondern gleichsam ums Ganze, also auch um das sogenannte Dienerhaus oder das Sigst-Areal. Es geht, so Brasseur in einem Gespräch mit der Zürichsee-Zeitung, generell um die schädlichen Auswirkungen der geplanten Verdichtung im Dorfzentrum und um die missliche Verkehrssituation rings um die Bahnhofstrasse, insbesondere um den zu erwartenden massiven Mehrverkehr auf der Bahnhofstrasse. «Ich finde Verdichtung etwas sehr Gutes» meint die Initiantin, «aber das Gebiet rund um die Bahnhofstrasse ist nicht geeignet dafür.»

An der Gemeindeversammlung geht es nur um die Initiative Zürcher

Um allfällige Missverständnisse auszuräumen: Die jetzt erfolgreiche «Beschwerde Brasseur» vom 2. Juli im Fall der Initiative Zürcher ist nicht dasselbe wie die «Einzelinitiative Brasseur» vom 1. September. Und: Über die «Einzelinitiative Brasseur» hat der Gemeinderat noch gar nicht entschieden. Ob und wann über diese abgestimmt wird, ist also noch völlig unklar. Vorerst wird aber wird nur über die Initiative Zürcher abgestimmt.

Es braucht einen Boxenstopp

Das alles wird – leicht vorausehbar – einige komplizierte Verwicklungen zur Folge haben. Denn: Macht es wirklich Sinn, jetzt ein Teiländerung des Gestaltungsplans zu beschliessen, wenn zugleich im Raum steht, den gesamten Gestaltungsplans «Bahnhofstrasse» aufzuheben? Denn: Selbst wenn das geplante SBB-Gebäude aufgrund der Initiative Zürcher redimensioniert werden muss, ändert sich dadurch kaum etwas an der prekären Verkehrssituation, welche aber erst in einem neuen Gesamt-Gestaltungsplan geklärt werden soll. Was, wenn die Initiative Zürcher die Situation am Verkehrsknotenpunkt beim Migros-Areal bereits zementiert, bevor über den Verkehr überhaupt erst diskutiert und entschieden werden kann? Und was bedeutet das für die sogenannte Planbeständigkeit?

Die Tatsache, dass vorerst bloss über die Forderung nach einer Teil-Änderung abgestimmt wird, bietet allerdings ein Chance: In dieser verzwickten Situation braucht es einen Runden Tisch mit allen Beteiligten und Betroffenen, den Behörden, den Initianten und dem anliegenden Gewerbe ebenso wie mit den Vertretern der SBB und wenn möglich auch der Migros Genossenschaft. Oder gar ein repräsentativer «Bürgerrat», in dem nach dem Zufallsprinzip ausgeloste Erlenbacher Bürgerinnen und Bürger mitreden und mitentscheiden können, bevor der neue Gestaltungsplan vors Volk kommt. Denn schliesslich betrifft die Entwicklung des Dorfzentrums alle Erlenbacherinnen und Erlenbacher. Sie sollten mehr zu sagen haben als bloss Ja oder Nein zu einem fixfertigen Gestaltungsplan.

Christian Rentsch