Der Stein des Anstosses: Die geplante Überbauung des SBB-Areals (Fotomontage)

Der Gemeinderat erklärt die Initiative Brasseur für ungültig

Der Streit um die zukünftige Entwicklung des Dorfzentrums geht in eine neue Runde: Am vergangenen Dienstag hat der Gemeinderat die Einzelinitiative der Architektin  Christiane Brasseur zur «Aufhebung des öffentlichen Gestaltungsplans Bahnhofstrasse» für ungültig erklärt. Ein risikoreiches Spiel denn: Die Initiantin wird gegen diesen Entscheid mit durchaus intakten Erfolgsaussichten Rekurs einlegen.

Von Christian Rentsch

Mit seinem Entscheid schickt der Gemeinderat die Initiative Brasseur vorerst einmal lediglich auf eine juristische Ehrenrunde. Die Diskussion um das Anliegen, das vielen Erlenbacherinnen  und Erlenbachern unter den Nägeln brennt, wird damit im besten Fall um einige Monate verzögert. Wie es mit dem Dorfzentrum weitergeht, ist aber eine zu wichtige Frage, als dass man sie mit juristischen Spitzfindigkeiten und Ränkespielen abklemmen kann. Bereits hat Hansueli Zürcher, dessen Initiative vorerst eine Teiländerung des Gestaltungsplans fordert, angekündigt, dass er nach der Abstimmung im kommenden Jahr mit Mitstreiterinnen und -streitern einen weitergehenden Gegenvorschlag zum jetzigen Gestaltungsplan erarbeiten will. Das Thema wird die Gemeinde also so oder über die nächsten paar Jahre weiter beschäftigen.

Was bis jetzt geschehen ist

Die Einzelinitiative Zürcher

Im März 2022 reichten Hansueli Zürcher und Mitinitianten eine Einzelinitiative zur Teiländerung des Gestaltungsplans Bahnhofstrasse ein. Sie wendet sich vor allem gegen die monströse SBB-Überbauung und verlangt eine Beschränkung der Gebäudehöhen und -längen in diesem Quartier. Im Juni  erklärte der Gemeinderat die Initiative für ungültig. Aufgrund einer Beschwerde von Christiane Brasseur hob das Verwaltungsgericht diesen Entscheid auf. Die Initiative Zürcher wird also voraussichtlich im März 2023 zur Abstimmung kommen.

Die Einzelinitiative Brasseur

Im September 2022 verlangte Christiane Brasseur mit einer weiteren Initiative die ersatzlose Aufhebung des gesamten Gestaltungsplans. Für das ganze Gebiet soll wieder die  gewöhnliche  Regel- und Arealbebauungs-Bauweise gelten. Es gehe ihr, so Brasseur in einem Gespräch mit der Zürichsee-Zeitung, «generell um die schädlichen Auswirkungen der geplanten Verdichtung im Dorfzentrum und um die missliche Verkehrssituation rings um die Bahnhofstrasse, insbesondere um den zu erwartenden Mehrverkehr auf der Bahnhofstrasse». Die Initiantin erwartete, dass über beide Initiativen im März kommenden Jahres gemeinsam abgestimmt werde.

Da solche Initiativen gemäss der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts nicht als «ausgearbeiteter Entwurf», sondern als «allgemeine Anregung» gelten, hätte dies dem Gemeinderat die Chance eröffnet, grundsätzlich über die künftige Entwicklung des Dorfzentrum nachzudenken. Neben der generellen Aufhebung des Gestaltungsplans hätte er als Gegenvorschlag auch einen neuen, dem Ziel der Initiative entsprechenden Gestaltungsplan vorlegen können.

Die Argumente des Gemeinderates

Statt dessen hat der Gemeinderat jetzt die Initiative Brasseur für ungültig erklärt, neben komplizierten rechtlichen Erwägungen unter anderem mit der Begründung der Verlässlichkeit (Rechtssicherheit) und der sogenannten Planbeständigkeit. So habe die SBB Immobilien bereits 2014 mit der Planung begonnen; diese sei inzwischen über mehrere Stufen konkretisiert worden, wobei die SBB sich immer an den bestehenden Gestaltungsplan  gehalten habe. Sie habe, so der Gemeinderat, bislang über eine halbe Million Franken investiert, die bei einer Aufhebung des Gestaltungsplans  «nutzlos»  würden. Das widerspreche dem Grundsatz der Rechtssicherheit und Planbeständigkeit. Im übrigen seien seit dem Inkrafttreten des Gestaltungsplan vor neuneinhalb Jahren keine wesentlich neuen Erkenntnisse aufgetaucht, die eine Aufhebung des Gestaltungsplans rechtfertigen würden.

Die Argumente der Initianten

Das sehen die Initianten Zürcher und Brasseur und vermutlich auch viele andere Erlenbacherinnen und Erlenbacher allerdings anders. Die Erfahrungen mit der bisherigen Bautätigkeit, den Planungen rund um den Sigst und den Bahnhof wie auch der stark zunehmende Verkehr hätten durchaus neue Erkenntnisse erbracht. Geändert hat sich aber vor allem auch das Bewusstsein der Bevölkerung: Die Folgen des ungehemmten Baubooms, die Blechlawinen auf den Strassen, ein neues Freizeit- und Konsumverhalten, aber auch die Umwelt- und Klimakrise haben durchaus neue Bedürfnisse und neue Zukunftsvorstellungen geweckt, denen die Planung der Dorfentwicklung Rechnung tragen muss.

Die Debatte, wie wir künftig in unseren Dörfern leben wollen, wird also so oder so weitergehen. Und sie kann nicht juristisch, sondern muss politisch geführt werden. Das setzt allerdings voraus, dass man überhaupt darüber öffentlich diskutieren kann.

25. November 2022