Mehr Streit! Wenigstens ein bisschen
Im neuen Dorfbott ist Wunschkonzert: Während der Gemeinderat uns freud- und friedvolle Tage wünscht, verraten uns die Erlenbacher Parteipräsidentinnen und -präsidenten, was sie sich für das kommende Jahr wünschen. Es sind Wünsche für die Puppenstube …
Der eine Parteipräsident wünscht sich eine «konstruktive Zusammenarbeit und wirkungsvolle Lösungen für eine zukunftsfähige Wirtschaft, eine lebenswerte Umwelt und ein attraktives, durchmischtes Dorf». Der Andere wünscht sich Mut, Hilfsbereitschaft und Offenheit, um die Herausforderungen gemeinsam anzupacken. Eine Parteipräsidentin träumt davon, dass Kinder wieder auf der Bahnhofstrasse spielen können und sich Jung und Alt im ehemaligen Haushaltsgeschäft Schmid & Co. auf Sofas bei Kaffee und Kuchen treffen.
Zwei Co-Parteipräsidentinnen wünschen sich einen «konstruktiven Dialog und die Bereitschaft, sich miteinander auszutauschen». Ein weiterer meint, die vielen Herausforderungen und offenen Fragen könnten nur durch einen «aktiven Austausch aller Bürger» bewältigt werden; der Schlüssel zum Erfolg liege in der «lösungsorientierten Zusammenarbeit». Und einer schliesslich will sich «auf die Fakten stützen und gemeinsame Lösungen suchen: «Schaffen wir Raum für gemeinsames und öffentliches Handeln zugunsten von mehr Lebensqualität.» Konkrete Wünsche zur Zukunft der Gemeinde scheinen unsere Erlenbacher Parteien erstaunlicherweise nicht zu haben.
«Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.»
So viel Harmonie? So viel Austausch, konstruktive Zusammenarbeit, Dialog und Gemeinsamkeit? So viel Friede, Freude, Eierkuchen, wie die Berliner sagen, dass einem fast schon etwas schwindelig wird. Von welchem Erlenbach, fragt man sich, ist denn da die Rede? Von demjenigen am Zürichsee oder einem im Märchenhimmel? Und unversehens kommt einem der berühmte Satz des deutschen Ex-Bundeskanzlers Helmut Schmidt in den Sinn: «Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine.» Es muss ja nicht gleich gehässig werden, man muss sich nicht gleich gegenseitig die Köpfe einschlagen. Aber: In einer lebendigen Demokratie haben die verschiedenen Parteien in fast allen gesellschaftlichen, politischen und sozialen Themen unterschiedliche Meinung; andernfalls bräuchte es gar mehrere Partei. Und über diese unterschiedlichen Meinungen muss gestritten, kontroverse diskutiert werden, damit die vielleicht beste der zweitbeste Lösungen gefunden wird.
Wer in Erlenbach nicht bloss schläft und Steuern zahlt, der weiss: Erlenbach hat eine ganze Reihe von Problemen. Einige davon sind sozusagen «Aufräumarbeiten», Baustellen, welche der frühere Gemeinderat dem neuen hinterlassen hat. Einige, etwa die Personalprobleme der Verwaltung, hat der neuen Gemeinderat inzwischen weitgehend gelöst.
Andere aber hat er einfach auf die lange Bank geschoben: Wer sich die im Dorfbott vom Dezember 2022 proklamierten Legislaturziele vor Augen führt, wundert sich, wie wenige davon bereits umgesetzt oder wenigstens aktiv vorangetrieben worden sind.
Oder aber – und das ist ein weiteres ungelöstes Problem – wie wenig die Stimmbürgerinnen und -bürger davon erfahren, falls sich hier etwas getan hat. Zwar hat der Gemeinderat vor einem Jahr ein neues Kommunikationskonzept verabschiedet, bloss: Geändert hat sich seither kaum etwas. Im Gegenteil: Vom Vorsatz, «sachlich und ehrlich, auch über negative Sachverhalte und unbefriedigende Entwicklungen zu kommunizieren», ist die Informationspolitik der Gemeinde immer noch meilenweit entfernt. Der neue Gemeinderat hat das schon vorher fast vollständige Informationsmonopol noch weiter gefestigt. Mit den amtlichen Mitteilungen, den diversen Newsletters, dem vierteljährlich gedrucktem Dorfbott und seinem guten Draht zur Zürichsee-Zeitung kontrolliert er praktisch alle politischen Informationen über die Gemeinde. (Die dem Gemeinderat weitgehend willfährige Redaktion der Zürichsee-Zeitung druckt gerade mal hin und wieder einen höchstens 80zeiligen Leserbrief.) Öffentliche Debatte klingt anders.
Gemeinderat und Verwaltung haben nahezu ein Informationsmonopol
Der Dorfbott, das monierte Forum Erlenbach schon früh, das wäre eine Möglichkeit einer von den Behörden wenigstens ein bisschen unabhängigen Informationspolitik. Bloss: Nachdem die gegenüber der Verwaltung offensichtlich wenig durchsetzungsfähige, aber zumindest nicht der Gemeindeverwaltung angehörige Redaktorin nach sieben Jahren gekündigt hat, übernimmt der neue stellvertretende Gemeindeschreiber Adis Merdzanovic ihre Stelle als Redaktionsleiter. In Zukunft besteht der Dorfbott-Ausschuss also vollständig aus Gemeinderätinnen und -räten sowie den Leitern der Gemeindeverwaltung. Das ist eine schlechte Voraussetzung für unabhängige Informationen.
Was immer man im etwas biederen Dorfbott lesen kann – nicht lesen kann man dort, wie es nun nach der Aufhebung des Gestaltungsplans Bahnhofstrasse weitergeht, wie weit die angekündigte Teilrevision der Bau- und Zonenordnung (BZO) fortgeschritten ist, was mit dem in einer privaten Garage parkierten Ortsmuseum geschehen soll, wie es um die Planung von Erlenbach Süd (rund um den Erlibacherhof) steht. Schon findet man solche Informationen in der Zürichsee-Zeitung. Wer sich aber mit konkreten Fragen direkt an den Gemeinderat oder die Verwaltung wendet, wird auch nach mehrmaligem Nachfragen mit vagen, nichtssagenden Antworten abgespeist.
Offenheit, Transparenz, eine von den Behörden etwas weniger abhängige Informationspolitik – das wären die Voraussetzungen für eine konstruktive Zusammenarbeit, für einen aktiven Austausch mit der Bevölkerung, wie es sich die Parteipräsidentinnen und -präsidenten für das kommende Jahr wünschen Die «Chästeilete» und der Neujahrs-Apéro (dieses Jahr am 6. Januar ab 18 Uhr im Erlibacherhof) sind keine Alternativen dazu. So aber kann nicht einmal ein bisschen richtig gestritten werden, wie das in in einer lebendigen Demokratie notwendig ist.
Christian Rentsch
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