Der Gemeinderat bescheinigt sich selber Unwissenheit oder Bequemlichkeit
Was wir schon ahnten, hat vor kurzem das Gutachten einer Anwaltskanzlei bestätigt: Der Erlenbacher Gemeinderat hat während Jahren gegen die Vorgaben der kantonalen Submissionsverordnung verstossen. Dass er jetzt nur mit Ausflüchten zu seiner Verantwortung steht, ist das Eine. Wichtiger ist die Frage, ob er es von nun an wirklich besser machen wird.
Worum geht es? In aller Kürze: Die kantonale Submissionsverordnung schreibt den kantonalen und lokalen Behörden vor, dass Planungs- und Dienstleistungsaufträge ab einer gewissen Höhe öffentlich ausgeschrieben werden müssen; sie dürfen also von den Behörden nicht direkt, also «freihändig», vergeben werden. Um Tricksereien auszuschliessen, müssen Aufträge, die inhaltlich «zusammengehören», zusammengezählt werden; sie dürfen also nicht gestückelt werden.
Gegen diese Verordnung hat der Gemeinderat, wie das Gutachten der Anwaltskanzlei Schneider belegt, während Jahren vielfach verstossen; er hat Aufträge von rund 2 Millionen Franken, die er hätte öffentlich ausschreiben müssen, freihändig an das Planungsbüro Suter/von Känel/Wild (SKW) vergeben. Neben der Abteilung Hochbau und Planung mit 1,39 Millionen verstiessen auch die Abteilungen Tiefbau und Umwelt und das Liegenschaftensekretariat gegen diese Verordnung. Ein kleines einmaliges Versehen war das also nicht. Und auch keine Bagatelle.
Fehler? Wir doch nicht!
Erstaunlicher als diese Tatsachen ist allerdings das Verhalten des Gemeinderates. Auf einen Leserbrief von Raymond Stark in der Zürichsee-Zeitung reagierte der Gemeinderat – zumindest öffentlich – gar nicht. Auf eine Anfrage von Forum Erlenbach einen Monat zuvor hatte der Gemeindepräsident Philipp Zehnder völlig unverbindlich geantwortet:«Aufträge werden immer spezifisch vergeben und je nach Schwellenwert nach den gesetzlichen Vorschriften ausgeschrieben.»
Eine Bitte, doch etwas konkreter zu antworten, liess der Gemeindepräsident unbeantwortet. Auf eine weitere Anfrage antwortete die neue Gemeindeschreiberin Adrienne Suvada: «Ich kann den Antworten unseres Gemeindepräsidenten nichts weiter hinzufügen.»
Erst als Forum Erlenbach von der Gemeindeverwaltung eine Aufstellung aller Aufträge an das Planungsbüro SKW während der vergangenen fünf Jahre verlangte, wurde der Gemeinderat aktiv und liess die Vorwürfe endlich doch durch eine Anwaltskanzlei abklären. Das Ergebnis: siehe oben. Oder hier.
Nichtwissen oder Nichtwissenwollen?
Aber auch im Nachhinein will eigentlich niemand so richtig verantwortlich sein für diese jahrelangen unzulässigen Auftragsvergaben. Gegenüber der Zürichsee-Zeitung meinte Gemeindepräsident Philipp Zehnder, die zusammenzurechnenden Leistungen seien für die Gemeinde nur schwer erkennbar gewesen, da die einzelnen Aufträge von verschiedenen Personen der Verwaltung erteilt worden seien; dadurch habe man aus den Augen verloren, wie viele Aufträge konkret an das Planungsbüro SKW gegangen seien.
Und ohnehin seien viele der ehemals Verantwortlichen heute nicht mehr für die Gemeinde tätig. Kurz: Die Verfehlungen seien nicht böswillig, sondern vielmehr aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit passiert.
Eine Einschätzung, die nicht nur die Reporterin der Zürichsee-Zeitung überraschte, denn: Der seit 2018 zuständige Gemeinderat Martin Dippon (FDP) ist, wie die Zürichsee-Zeitung schreibt, beruflich mit seiner Firma Axericon exakt in diesem Bereich tätig, der Beratung, Planung und Betreuung von öffentlichen Ausschreibungen.
Diener zweier Herren
Zu all diesen Merkwürdigkeiten kommt noch eine weitere hinzu: Sowohl Raymond Stark wie Forum Erlenbach monierten, dass das Planungsbüro SKW während Jahren gleichzeitig sowohl die Gemeinde Erlenbach wie auch die SBB Immobilien AG beraten hat, also im Fall der SBB-Überbauung gleichsam auf beiden des Seiten des Verhandlungstisches sass, was zwangsläufig zu Interessenkonflikten führt. Und ganz zufällig haben denn auch genau diejenigen Ausnahmeregelungen Eingang in den Gestaltungsplan Bahnhof gefunden, welche die SBB für ihre Monster-Überbauung benötigte.
Auch in diesem Fall wollten weder der Gemeindepräsident noch die Gemeindeschreiberin gegenüber Forum Erlenbach konkret Stellung nehmen. «Einen Konflikt zwischen der SBB und unserer Gemeinde Erlenbach sehe ich momentan nicht», schrieb Adrienne Suvada, «wir pflegen einen professionellen und guten Austausch.» Dass der Interessenkonflikt in der Sache und nicht in der Art des Austausches begründet ist, liegt allerdings auf der Hand.
Wie geht es jetzt weiter?
Das alles ist Vergangenheitsbewältigung. Wie aber geht es nun weiter? Brisant ist diese Frage deshalb, weil die Erlenbacher Stimmbürgerinnen und -stimmbürger im vergangenen November mit grosser Mehrheit für die Aufhebung des Gestaltungsplans Bahnhof gestimmt haben, also das Projekt ablehnten, das massgeblich vom Planungsbüro SKW ausgearbeitet und vorangetrieben worden ist.
Die Gemeinde muss jetzt innerhalb von 18 Monaten alle notwendigen Anpassungen vornehmen und zur Abstimmung bringen, die sich durch die Aufhebung des Gestaltungsplans ergeben. Beraten lässt sich der Gemeinderat, wie man im Erlenbacher Dorfbott lesen konnte, ausgerechnet wieder vom Planungsbüro Suter/von Känel/Wild.
Ob das rechtlich zulässig ist, ist die eine Frage – denn immerhin handelt es sich ja um die Fortschreibung jener Aufträge, die in ihrer Gesamtsumme nicht hätten «freihändig» vergeben werden dürfen. Aber selbst wenn das formal zulässig ist, stellt sich doch die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, dass ausgerechnet jene Planer das Projekt abwickeln sollen, das sie selber während Jahren engagiert mitentwickelt und mitverantwortet haben. Vielleicht wäre es nun doch langsam an der Zeit, dass der Gemeinderat Aufträge im Zusammenhang mit der Ortsplanung wie vorgeschrieben öffentlich ausschreibt oder zumindest ein anderes Planungsbüro zum Zug kommen lässt, das unbelastet von der Vergangenheit und vielleicht sogar mit neuen planerischen Ansätzen an die Zentrumsplanung herangehen könnte.
Christian Rentsch
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