Feuer im Dach
Ein Erlenbacher Dorfstreit eskaliert: Was als leicht zu klärender Konflikt um die langjährige Vergabepraxis bei Ortsplanungsaufträgen begonnen hat, endete vor den Sommerferien mit gegenseitigen Beschuldigungen, Beleidigungen und einer Strafklage gegen den Gemeindepräsidenten. Vergessen ging dabei ein anderes «Vergehen» des derzeitigen Gemeinderates.
Zwei alte Männer, offensichtlich langjährige Kumpel, plaudern, meckern und plauschen vor der Kamera. Man ist sich einig: die Welt ist ungerecht. Der eine jammert, vom anderen immer wieder munter angefeuert; er fühlt sich zu Unrecht angegriffen und beleidigt. Er inszeniert sich als Opfer einer «medialen Vorverurteilung», bei der ja immer etwas «Dräck am Stäcke» hängenbleibe.
Nein, das ist nicht die Muppetshow, obwohl man es meinen könnte, sondern ein halbstündiger Talk im Wirtschafts-Nachrichtenportal «Inside Paradeplatz» des Journalisten Lukas Hässig mit dem derzeitigen Erlenbacher Gemeindepräsidenten Philippe Zehnder.
Und es geht auch nicht um lustige Gags, um Jux und flotte Sprüche, sondern – unter anderem – um ein möglicherweise unrechtmässiges Verhalten früherer Behörden und der Verwaltung. Sie sollen, so der Vorwurf, während vieler Jahre und in zahlreichen Fällen, die Regeln der kantonalen Subventionsverordnung nicht korrekt angewandt haben. Und es geht um möglicherweise beleidigende und falsche Äusserungen des Gemeindepräsidenten und schliesslich um eine Strafklage gegen ihn wegen übler Nachrede.
Kurze Rückblende: Als im vergangenen November durch einen Leserbrief in der Zürichsee-Zeitung Vorwürfe publik wurden, frühere Gemeinderäte hätten bei der Vergabe von Planungsaufträgen die kantonale Submissionsverordnung verletzt, versuchte es der Gemeindepräsident mit einer Beschwichtigung: An den Vorwürfen sei nichts dran. Auf eine konkrete Anfrage von Forum Erlenbach antwortete er sehr allgemein und vage: «Aufträge werden immer spezifisch vergeben und je nach Schwellenwert nach den gesetzlichen Vorschriften ausgeschrieben.»
War die Verwaltung unwissend oder bequem? Dumm oder faul?
Als die Gerüchte trotzdem nicht verstummten, entschloss sich der Gemeinderat, die Vorwürfe von der Zürcher Anwaltskanzlei Schneider untersuchen zu lassen. Das Ergebnis des siebenseitigen Rechtsgutachtens: Die Erlenbacher Behörden hätten tatsächlich zwischen 2000 und 2023 in mehreren Fällen Aufträge «freihändig» an das Planungsbüro Suter/von Känel/Wild (SKW) vergeben, die sie gemäss der kantonalen Submissionsverordnung hätten öffentlich ausschreiben müssen. Insgesamt geht es um rund 50 Aufträge von rund 1,87 Millionen Franken.
Nachdem die Gemeinde das Gutachten ins Netz gestellt hatte, griff die Zürichsee-Zeitung im März den Fall auf. Jetzt war auch Gemeindepräsident Zehnder plötzlich nicht mehr seiner früheren Meinung, dass alle Auftragsvergaben immer völlig korrekt erfolgt seien. Für den Gemeinderat, dem er selber seit 2018 angehört, sei dies allerdings schwer erkennbar gewesen, weil die «Einzelaufträge von verschiedenen Personen der Verwaltung in Auftrag gegeben» worden seien. Dadurch habe «man aus den Augen verloren wie viele Aufträge konkret an SKW gegangen» seien. Doch seien, so zitierte ihn die Zürichsee-Zeitung, «diese Verfehlungen nicht böswillig erfolgt, sondern vielmehr aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit».
(Darüber berichtete Forum Erlenbach am 10. April, allerdings in der festen Annahme, dass das Rechtsgutachten der Anwaltskanzlei Schneider unumstritten und absolut hieb- und stichfest sei. Ebenfalls berichteten wir dort, wie es nach der Aufhebung des Gestaltungsplans Sigst weitergeht.)
Pingpong der Schuldzuweisungen
Mit diesen Bemerkungen brachte Zehnder nicht nur einige frühere Gemeinderäte auf die Palme, sondern auch den ehemaligen Gemeindeschreiber Hans Wyler. Dass er und seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen während seiner dreissigjährigen Dienstzeit (von 1988 bis 2018) unwissend und bequem – oder wie es Hässig auf «Inside Paradeplatz» zuspitzte: «dumm und faul» gewesen seien, –, das wollte Wyler so nicht unerwidert stehen lassen. Zusammen mit Hans-Peter Fehr, vom 1999 bis 2010 Leiter der Bauabteilung und verwaltungsseits zuständig für die Ortsplanung, verfasste er eine Gegendarstellung/Richtigstellung, die zahlreiche Vorwürfe widerlegt oder zumindest relativiert. Und das Gutachten der Anwaltskanzlei Schneider eher schlecht aussehen lässt.
Zu Zehnders Vorwurf der «Unwissenheit oder Bequemlichkeit» resp. «Dummheit oder Faulheit», meint Wyler, dass das notwendige Sachwissen durchaus vorhanden gewesen sei, habe doch die Verwaltung diesbezügliche Schulungen absolviert. Überdies habe man die Anwaltskanzlei Schneider, die jetzt das Rechtsgutachten verfasst hat, jeweils bei komplexen submissionsrechtlichen Fragen konsultiert.
Und falsch sei, so Wyler, auch Zehnders Behauptung, dass «Personen der Verwaltung» eigenständig Einzelaufträge vergeben hätten. Diese seien ausnahmslos von den jeweils zuständgen Gemeinderäten beschlossen worden. Und der für Planung zuständige Gemeinderat war laut Zürichsee-Zeitung zumindest in den vergangenen sechs Jahren nicht ein armer überforderter Laie , sondern mit Martin Dippon ein Fachmann, der selber ein Beratungsbüro im Bereich des öffentlichen Beschaffungsswesens und -management führt.
Ein tiefgläubiger Demokrat missversteht die Demokratie
Dies alles, sollte man meinen, hätte sich im Gespräch, das Wyler und Fehr mit dem Gemeindepräsidenten führten, einvernehmlich klären lassen. Bloss: Philippe Zehnder weigerte sich nach der Aussprache mit den beiden, die offensichtlich unhaltbaren Vorwürfe gegenüber den früheren Gemeinderäten und Verwaltungspersonen zurückzunehmen. Was wiederum fünf ehemalige Gemeinderäte dermassen verärgerte, dass sie bei der Staatsanwaltschaft eine Strafklage wegen Ehrverletzung gegen Zehnder einreichten. Auf welchem Weg auch immer die Zürichsee-Zeitung von dieser Strafklage Wind bekam, die in Erlenbach längst Dorfgespräch war – sie griff die Geschichte dankbar auf.
Das wiederum fand Gemeindepräsident Zehnder, der sich selber als «tiefgläubiger Demokrat» bezeichnet, völlig daneben. Im etwas peinlichen Altherren-Talk mit Lukas Hässig liess er sich zwar unwidersprochen als «Sheriff von Erlenbach» feiern, inszenierte sich aber zugleich als Opfer einer «medialen Vorverurteilung». Und er warf den von ihm attackierten Gemeinderäten ein zutiefst «antidemokratisches Verhalten» vor. Dabei vergass er allerdings zu erklären, was denn «antidemokratisch» daran sein soll, wenn Personen, die er selber in der Zürichsee-Zeitung als «unwissend oder bequem» resp. «dumm oder faul» verunglimpft hat, sich wehren und damit ebenfalls an die Medien gelangen. Das mag Zehnder zwar «unfreundlich und respektlos» finden, aber antidemokratisch ist es mit Sicherheit nicht. Denn selbst ein gläubiger Demokrat müsste wissen und akzeptieren, dass selbstverständlich jedermann jederzeit die Medien über alles Mögliche informieren kann und darf – man nennt das Meinungsfreiheit. Aber wenn schon, dann liegt es an den Medien zu entscheiden, ob sie diese Informationen veröffentlichen wollen oder nicht. Mit Demokratie und antidemokratischem Verhalten hat das alles nicht im Geringsten etwas zu tun. (Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft ohnehin entschieden, die Klage der früheren Gemeinderäte gar nicht anzunehmen.)
Wyler: «Das Rechtsgutachten ist sachlich unzutreffend und damit haltlos»
Schlecht weg kommt in Wylers Richtigstellung aber auch die Kanzlei Schneider. Mehrere Beurteilungen im Gutachten seien, so Wyler, «schlicht unzutreffend und nicht haltbar». Dabei geht es insbesondere um die heikle, aber entscheidende Frage, welche Aufträge an SKW denn «tatsächlich rechtlich und inhaltlich eng zusammengehören».
Zumindest im veröffentlichten Teil der Rechtsgutachtens werden die einzelnen Aufträge der Gemeinde an das Planungsbüro Suter/von Känel/Weiss (SKW) nicht auf ihren einzelnen präzisen Inhalt analysiert, sondern pauschal den drei Abteilungen «Hochbau und Planung» (1’265’900 Franken), «Tiefbau und Umwelt» (553’077.90) und «Liegenschaftensekretariat (214’000) zugeordnet. So liegt in allen drei «Bereichen» die Gesamtsumme der Aufträge weit über den «erlaubten» 150’000 Franken.
Hans Wyler und Hans-Peter Fehr machen in ihrer Richtigstellung geltend, dass längst nicht alles, was die Kanzlei Schneider zusammenzählt, auch wirklich zusammengehört. So zum Beispiel zwei amtliche Quartierpläne mit Kosten von insgesamt 600’000 Franken, in denen die Gemeinde bloss «treuhänderisch» tätig war, die aber von den privaten Grundeigentümern in Auftrag gegeben und bezahlt worden sind. Oder eine Reihe von Gutachten und Expertisen, die Begleitung von Wettbewerben etc. Für die Ortsplanung im engeren Sinn seien zwischen 2000 und 2023 statt 1,87 Millionen bloss 64’000 Franken ausgegeben worden, also nicht einmal 28’000 Franken pro Jahr, die submissionsrechtlich immer korrekt vergeben worden seien.
Das alles ist sehr viel Juristenfutter – Papiere, konkrete Aufträge, Belege, Rechnungen etc., die man getrost auf ewig in einem Aktenschrank beerdigen kann, da sie ohnehin längst nicht mehr zu korrigieren sind und der Gemeinde auch keine Mehrkosten entstanden sind. Immerhin widerlegt die Richtigstellung von Wyler und Fehr glaubwürdig die Behauptung von Zehnder, dass die früheren Gemeinderäte und die Verwaltung einfach zu unwissend oder bequem gewesen seien.
SKW sass auf beiden Seiten des Verhandlunsgtisches
Bei all diesem Pingpong der Schuldzuweisungen, Beleidigungen und Selbstbemitleidungen hat man allerdings ein zweites, zumindest ebenso brisante Problem, ganz aus den Augen verloren – oder vielleicht sogar absichtlich unter den Teppich gekehrt. Nämlich, dass das Planungsbüro SKW im höchst brisanten und umstrittenen Fall «Gestaltungsplan Sigst/Neubau SBB-Bahnhof» sowohl die Gemeinde Erlenbach wie auch die SBB vertrat, also gleichsam als Berater auf beiden Seiten des Verhandlungstisches sass. Und da sind, ganz im Gegensatz zu den allfälligen Verfehlungen früherer Gemeindeträte, der derzeitiger Gemeindepräsident Philippe Zehnder und Martin Dippon, der seit 6 Jahren für Planungsfragen zuständige Gemeinderat, ganz unmittelbar beteiligt.
In Kürze
Die Kantonale Submissionsverordnung
Planungs- und Dienstleitungsaufträge unter 150’000 Franken dürfen von den Behörden «freihändig» vergeben werden; bis 250’000 Franken müssen die Behörden immerhin mehrere Unternehmen einladen, Offerten einzureichen (Einladungsverfahren), was darüber hinausgeht, muss öffentlich ausgeschrieben werden. Besteht zwischen mehreren Aufträgen (unter 150’000 Franken)»ein enger rechtlicher oder sachlicher Zusammenhang», müssen diese zusammengerechnet werden.» Damit soll verhindert werden, dass grosse Auftrage einfach so gestückelt werden, dass sie nicht ausgeschrieben werden müssen. (Zerstückelungsverbot)
Was in dieser Kürze einfach und verständlich aussieht, ist in der Praxis höchst kompliziert, weil es erstens eine ganze Reihe von zusätzlichen Regulierungen gibt für zeitlich befristete, zeitlich unbefristete und stets wiederkehrende Aufträge, weil es zweitens einen gewissen Ermessensspielraum gibt, was ein «enger rechtlicher und sachlicher Zusammenhang» ist, und weil es drittens dazu eine ganze Reihe von klärenden oder eben auch widersprüchlichen Gerichtsurteilen gibt, die berücksichtigt werden müssen.
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